Das Schach konnte in Pandemiezeiten weltweit boomen, weil es online einem großen Publikum nähergebracht werden konnte. Damit haben sich neue Plattformen etabliert, die zu Recht für sich in Anspruch nehmen können, „Schach in die Medien“ gebracht zu haben. Ohne eine Fülle von hervorragenden Kommentatoren wäre dies nicht gelungen. Die ELG hat sich deswegen dazu entschieden, dieses neue Genre ab 2022 mit einem eigenen Preis zu ehren, der nach Dr. Savielly Tartakower, dem Vater der unterhaltsamen Schachkommentierung, benannt ist.
Dr. Tartakower (geb. am 21. Februar 1887 in Rostow am Don, gest. am 05. Februar 1956 in Paris) hatte ein bewegtes Leben. Er hatte mehrere Staatsbürgerschaften inne. Kämpfte er im Ersten Weltkrieg noch für Österreich-Ungarn, focht er im Zweiten Weltkrieg schon für seine Wahlheimat Frankreich, deren Staatsbürgerschaft er nach dem Zweiten Weltkrieg auch annahm. Er war einer der jungen Rebellen der hypermodernen Schachschule, die vor und nach dem Zweiten Weltkrieg die etablierten Meister rund um Lasker, Capablanca und Tarrasch herausforderte und das Schach erneuern wollten. Tartakower war dabei nicht nur als Spieler von Weltklasse ab Ende der 1920er-Jahre erfolgreich, sondern verfasste auch zahlreiche Schachbücher und Kommentare zu Schachpartien, die er gern mit geistreichen Aphorismen würzte, die heute selbst Klassiker und kollektives Gedächtnis der weltweiten Schachkultur sind. Sein Ratschlag „Es ist immer besser, die Steine des Gegners zu opfern“ gehört dazu.
Wie kämpferisch und modern das von ihm gespielte Schach in den wilden Zwanziger Jahren war, kann der berühmten Partie aus dem Turnier von New York 1924 entnommen werden. Lasker und Tartakower trafen in der vorletzten Runde (Runde 21) aufeinander. Lasker gewann nach großartiger Verteidigungsleistung und sicherte sich damit eine Runde vor Schluss den Turniersieg vor Capablanca, der ihn 1921 als Weltmeister abgelöst hatte. Tartakower stand damals selbst noch am Beginn seiner Karriere, die später von dem Gewinn von Internationalen Turnieren bis zur Schacholympiade reichte und ihn zeitweilig den dritten Platz in der Weltrangliste einnehmen ließ. Vor dem Zweiten Weltkrieg spielte er dabei noch für Polen, obwohl er, der viele Sprachen fließend beherrschte, kein Polnisch sprach und nie in Polen gelebt hatte. Trotzdem verhalf er dem Team 1930 zum Olympiasieg und nahm für Polen bis 1939 an allen Olympischen Spielen teil. Während der Olympiade 1939 in Argentinien brach bekanntlich der Zweite Weltkrieg aus. Tartakower kehrte ungeachtet dessen nach Europa zurück und engagierte sich als Leutnant der Freien Französischen Streitkräfte für ein freies Europa.
Der erste Tartakower soll während des 3. Grand Prix-Turniers in Berlin verliehen werden, das vom 21. März bis 4. April 2022 stattfinden wird. Der Preis ist Teil der Initiative chess4europe, die die ELG 2021 ins Leben gerufen hat. Mit dem „Tartakower“ soll in Erinnerung an diesen famosen französischen Weltbürger alljährlich die Kunst der unterhaltsamen Schachkommentierung in den Medien angemessen gewürdigt werden. Die große Schachnation Frankreich, deren Schachverband im letzten Jahr sein 100-jähriges Bestehen feiern durfte, ist damit um ein verdientes Juwel reicher. Exilanten haben dabei im französischen Schach stets eine große Tradition, wenn man sich neben Tartakower an Boris Spasski oder jüngst an Alireza Firouzja erinnert. „Gens una sumus – Wir sind eine Familie“ hätte Tartakower dazu sicherlich angemerkt – getreu dem Motto des Weltschachbundes, der 1924 in Paris – wo auch sonst – gegründet wurde und in zwei Jahren sein 100-jähriges Bestehen feiern darf. Die FIDE verlieh Tartakower 1950 als einem der ersten den neu geschaffenen Großmeistertitel. 72 Jahre später folgt nun die Würdigung durch die ELG, die bekanntlich als Förderin der Schachkultur nicht nur dem Andenken an Lasker, sondern auch dem Gedenken an das Wirken seiner Zeitgenossen verpflichtet ist.
Berlin, im Januar 2022
Thomas Weischede, Vorstand ELG