„Die Zahl der eigenartigen Schachkämpfe mehrt sich“ hieß es 1906 im Berliner Tageblatt (BT).
Dieselbe Zeitung hatte noch sehr zweifelnd einen Bericht über die erste drahtlose Schachpartie zwischen Spielern gebracht, die sich auf dem amerikanischen Dampfer „Philadelphia“ und auf der englischen „Lucania“ befanden. („Wir glauben unserem Newyorker Korrespondenten aufs Wort … aber ein bisschen amerikanisch klingt uns diese Geschichte doch“, schrieb man in der Zeitung.). Am 18. Januar 1903 war erfolgreich eine drahtlose Depesche vom Erfinder Marconi aus den USA nach England übermittelt worden. Am selben Tage hatte die „Lucania“ über den Marconi-Apparat bei der 19 Meilen entfernten „Philadelphia“ angefragt und es fanden sich auf beiden Seiten Schachspieler, die dann eine dreistündige Partie spielten. (BT 30.01.1903, S. 3)
Am 11. und 12.November 1905 folgte dann ein Wettkampf mit einer direkten Drahtverbindung über das deutsch-atlantische Kabel an 6 Brettern zwischen dem Manhattan-Schachklub und der „Berliner Schachgesellschaft 1827“. Eine Premiere für Deutschland. (BT (A) 22.09.1905, S. 5; (M) 07.11.1905, S. 4). Für die zweitägige Veranstaltung konnten Zuschauer Eintrittskarten erwerben. Um den finanziellen Aufwand zu reduzieren, hatte man sich extra ein Chiffriersystem zur Übermittlung der Züge ausgedacht. Die Kosten wurden üblicherweise je Wort berechnet und ein Wort enthält im internationalen Telegrafenverkehr maximal 10 Zeichen. Das schachbrettartige Diagramm veranschaulicht das System:
ma | na | pa | qa | ra | sa | ta | wa |
me | ne | pe | qe | re | se | te | we |
mi | ni | pi | qi | ri | si | ti | wi |
mo | no | po | qo | ro | so | to | wo |
bo | co | do | fo | go | ho | ko | lo |
bi | ci | di | fi | gi | hi | ki | li |
be | ce | de | fe | ge | he | ke | le |
ba | ca | da | fa | ga | ha | ka | la |
So wurde z.B. der Bauernzug e2-e4 mit gego übermittelt. In einem Wort mit 10 Zeichen konnte man neben der Partienummer so auch noch den Zug des Gegners wiederholen.
Vielleicht stellt sich die Frage, warum nicht gleich die verkürzte Notation zur Anwendung kam. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass im angelsächsischen Raum die längere beschreibende Notation üblich war und mit dem neu vereinbarten System sich beide Seiten an die neue kurze Zugnotation gewöhnen mussten. Partien, die am zweiten Tag nicht beendet waren, schätzte der in New York lebende Weltmeister Emanuel Lasker ab. (BT (M) 11.11.1905, S. 6/7) Der Manhattan-Schachklub gewann 4:2.
Und der nächste oben erwähnte „eigenartige Schachkampf“ fand dann am 14.01.1906 statt. Der „Berliner Schachverein von 1876“ und der Nürnberger Schachklub spielten an 10 Brettern einen telefonischen Wettkampf. Vom Berliner Rathaus führten zwei direkte Leitungen nach Nürnberg in den Marientor-Zwinger. Vorsichtshalber war eine Ersatzleitung über Frankfurt am Main vorgesehen. Die Berliner Spieler notierten ihre Züge auf weißen Zetteln und erhielten aus der Telefonzentrale die gegnerischen Züge auf roten Zetteln. Nach 7 Stunden Spielzeit schätzten die Schiedsrichter Dr. B. Lasker und Dr. Lewitt gegen 21 Uhr zwei unbeendete Partien ab und verkündeten das Resultat des Wettkampfes: 5:5 Unentschieden. (BT 15.01.1906, S. 5)
Im Jahre 1911 war es dann schon eine ganz normale Meldung, dass die Berliner Schachgesellschaft und der Wiener Schachklub einen telegrafischen Wettkampf mit je acht Spielern bestritten (BT 21.03.1911, S. 5). Schiedsrichter auf beiden Seiten: Dr. E. Lasker und Carl Schlechter.
Und noch einmal ist ein telegrafischer Schachwettkampf erwähnenswert. Die internationale Isolation Deutschlands im Schach nach dem 1. Weltkrieg wurde durch einen Wettkampf an 8 Brettern zwischen einer Auswahl Berlins und einer holländischen Mannschaft in Den Haag beendet. So heißt es: „Die Scheveninger Schaak Societit begrüßt herzlichst die Berliner Schachgesellschaft, spricht ihre Genugtuung darüber aus, dass durch den Friedensschluß die internationalen Schachbeziehungen wieder angeknüpft werden können und hofft, dass diesem ersten telegraphischen Klubmatch noch viele weitere folgen werden.“ Berlin siegte mit 5:3 (Deutsche Allgemeine Zeitung 02.02.1920, S. 2 (A)).
Fünfzig Jahre später war wieder das Schachspiel mit einer Innovation verknüpft. Zwischen den Kosmonauten der Sojus 9 und dem Kontrollzentrum wurde am 09.06.1970 eine Partie Schach gespielt (Angenommenes Damengambit, 35 Züge, remis). Einer der beiden Kosmonauten, Vitali Sewastjanow, wurde später Präsident des sowjetischen Schachverbandes (ChessBase Schachnachrichten 05.06.2020).
Das Schachspiel hat auch eine bedeutende Rolle in der Entwicklung von Software und Hardware für Computer gespielt. Die Entwicklung von Algorithmen zur Berechnung der besten Züge hat dazu beigetragen, Techniken zu entwickeln, die auch in anderen Bereichen der Informatik Anwendung finden. Zunächst mit einem „brute force“-Ansatz hat das Schachspiel dann zur Entwicklung effizienter Suchalgorithmen geführt, wie z.B. Minimax und Alpha-Beta-Suche, die nicht nur im Schach, sondern auch in vielen anderen Bereichen der Informatik verwendet werden. Um die Komplexität des Spiels zu bewältigen, wurden heuristische Ansätze entwickelt, die es Computern ermöglichen, Entscheidungen zu treffen, ohne alle möglichen Züge durchzugehen. Diese Methoden finden auch Anwendung in anderen Entscheidungsfindungsprozessen. Schachprogramme waren einige der ersten Anwendungen von Künstlicher Intelligenz. Die Entwicklung von Schach-Engines wie Deep Blue, die 1997 Weltmeister Garry Kasparov besiegte, hat das Interesse an KI-Forschung und -Entwicklung erheblich gesteigert.
Berlin, im April 2025
Rolf-Dietrich Beran