Die Emanuel Lasker Gesellschaft hat am 27. Oktober 2024 mit Edzard Reuter ein langjähriges Mitglied und einen treuen Weggefährten verloren.
Edzard Reuter lernte ich durch die Vermittlung meines Freundes, des berühmten Schachsammlers und Gründungsmitgliedes der Emanuel Lasker Gesellschaft, Dr. Thomas Thomsen, persönlich kennen. Das war im Frühjahr 2003. Mit einem Team organisierte ich die Ausstellung zum 50. Jahrestag des Bitterfelder Aufstandes vom 17. Juni 1953. Zu diesem Projekt gehörte auch der Geschichtsexpress, den die Deutsche Bahn bereitstellte.
Am 17. Juni 2003 fuhr ein historischer Zug von Berlin nach Bitterfeld zur Besichtigung der bundesweit größten Ausstellung zum Volksaufstand. An dieser Reise nahmen etwa 100 geschichtsinteressierte Bürger teil. Als Ehrengast im Zug war auch der Sohn des 1953 amtierenden Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Ernst Reuter. Nach der Besichtigung der Ausstellung im Bitterfelder Metall-Labor führte ich ein Gespräch mit Edzard Reuter über den 17. Juni 1953. Er sprach über seine eigenen Beobachtungen an diesem Tag und über die Reden seines Vaters über den Volksaufstand, so auch bei der gewaltigen Trauerkundgebung für die Opfer am 23. Juni 1953 vor dem Rathaus Schöneberg.
Das war der Beginn unserer wunderbaren und tiefen Freundschaft. Es folgten weitere elf gemeinsame öffentliche Gespräche vor zahlreichem Publikum in Berlin, Halle, Wolfen und Lehnitz, zuletzt am 15. September 2022 im Forum Kultur und Politik in Halle.
Als die Emanuel Lasker Gesellschaft 2005 durch die großzügige Unterstützung von Stefan Hansen im DORLAND-Haus am Leuschnerdamm in Berlin-Kreuzberg ein festes Domizil fand, bot sich die Möglichkeit, eine umfassende Schachausstellung über Emanuel Lasker und seine Zeit zu präsentieren. Ein besonderes Ausstellungsstück stellte uns Edzard Reuter als Leihobjekt zur Verfügung. Es war das persönliche Schachspiel von Wilhelm Leuschner, das der sozialdemokratische Gewerkschafter in seiner Haft im KZ Lichtenburg bei Torgau zu freien Partien mit seinem Mithäftling Ernst Reuter benutzte. Leuschner wurde 1944 vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und in Berlin-Plötzensee hingerichtet. Ernst Reuter konnte durch internationale Interventionen freikommen und in die Türkei emigrieren, wo er von 1934-1946 mit seiner Frau und seinem Sohn Edzard lebte. Das erhalten gebliebene Schachspiel mit Leuschners Namenszug in der Figurenschachtel und dem Hinweis auf Ernst Reuter und das KZ Lichtenburg bekam Edzard Reuter 2005 von der Leuschnerfamilie geschenkt.
Zur Ausstellungseröffnung kam Edzard Reuter extra aus Stuttgart angereist. Er war von der Ausstellung begeistert und wurde noch an diesem Abend Mitglied der Emanuel Lasker Gesellschaft.
Wir trafen uns regelmäßig, zwischendurch telefonierten wir. Edzard Reuter interessierte sich immer für die Aktivitäten der Emanuel Lasker Gesellschaft. Schach hielt er für ein wichtiges Kulturgut, das gepflegt werden müsse. Besonders hielt er Schach für Kinder für wichtig und unterstützenswert.
Als Mensch war Edzard Reuter liebenswert, einfühlsam, immer interessiert und äußerst zuverlässig. Obwohl er einst als Vorstandsvorsitzender der Daimler-Benz AG einer der wichtigsten deutschen Manager war, bewahrte er sich eine zurückhaltende, fast bescheiden anmutende Art.
Seine Geburtsstadt Berlin ernannte ihn 1998 wegen seines großen Engagements beim Ausbau des Potsdamer Platzes zum Ehrenbürger. Er blieb bis zuletzt ein aktiver, politisch denkender und engagierter Zeitgenosse. Die von ihm und seiner Frau gegründete Helga und Edzard Reuter-Stiftung zur Förderung der Völkerverständigung vergibt jährlich Preise an Initiativen, Einzelpersonen oder Vereine, die sich für das friedliche Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher ethnischer, religiöser oder kultureller Herkunft einsetzen und damit auf die Integration der Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland zielen.
Jetzt ist Edzard Reuter im Alter von 96 Jahren in Stuttgart verstorben. Wir werden noch lange gern an ihn denken.
Berlin, im November 2024
Paul Werner Wagner