Erinnerungen an Dr. Robert Hübner (1948-2025)

Mit Dr. Robert Hübner ist am 05. Januar 2025 der bislang international erfolgreichste deutsche Schachspieler nach Dr. Emanuel Lasker verstorben. Sein Tod hat weltweit große Betroffenheit und Anteilnahme ausgelöst. Der ELG war er über eine Fülle von Aktivitäten verbunden. Mit ihm verlieren wir einen namhaften Förderer und Unterstützer des Schachs und der Schachkultur. Unser langjähriger Vorsitzender, Ehrenmitglied und Lasker-Preisträger 2023, Paul Werner Wagner, hat es sich nicht nehmen lassen, dazu seine eigenen Erinnerungen zu verfassen, die schon bei ChessBase veröffentlicht wurden. Den Bericht dazu finden Sie hier.

Unser Vorstandsmitglied Dr. Gerhard Köhler hat die Schachstiftung GK und die ELG auf der Beerdigung vertreten.

Er hat mit folgenden Worten dem Verstorbenen gedacht:

„Meine Name ist Gerhard Köhler. Ich möchte einige Worte im Namen der Emanuel Lasker Gesellschaft, des Schachclubs Löberitz -dessen Ehrenmitglied Robert war-, der Schachstiftung GK und des Vereins Kinderschach in Deutschland sagen. Mit der Unterstützung von Kinderschach hat er auch einen positiven Beitrag zur gesellschaftlichen Entwicklung geleistet.

Ich kenne Robert nunmehr seit 10 Jahren. Mir ist es gelungen, Robert für Simultanvorstellungen an den Universitäten Leipzig und Halle/ Saale sowie einen Wettkampf Vlastimil gegen Robert zu gewinnen. Auch konnte ich ihm die Papyri Sammlung der Universität Leipzig zeigen. Noch im August 2024 hat er einen Vortrag im Rahmen der Seniorenmeisterschaft in Bad Wildungen gehalten, der den Schachfreunden in bleibender Erinnerung bleiben wird. Mich persönlich hat seine Sicht auf die Gesellschaft sehr beeindruckt.

Anfang der 80-iger Jahre hat er in einem Spiegel-Interview zum Ausdruck gebracht, dass der Unterschied zwischen mir (Robert) und der Gesellschaft nicht durch meine Anpassung erfolgen sollte, sondern die Gesellschaft besser nutzen sollte, was ich zu bieten habe. Das sollte für uns als Gesellschaft der Maßstab sein! In vielen Gesprächen konnte ich mich mit Robert über gesellschaftliche Entwicklungsprozesse austauschen. Robert war ein umfassender Analytiker: Ich sandte ihm einige Partien von mir zu und bat ihn um eine Einschätzung meiner schachlichen Fähigkeiten. Es dauerte nicht lange und er zeigte mir meine Stärken aber vor allem meine Schwächen in der Eröffnung, im Mittelspiel und im Endspiel auf. Auf meine Frage nach für mich erreichbare Ziele schrieb er mir folgendes, ich zitiere:

Die Einschätzung Ihrer Leistungsentwicklung, die Sie von mir fordern, kann ich nicht leisten. Wenn man einen Baum pflanzt, kann man nicht voraussagen, welche Höhe in Zentimetern er erreichen wird und wie viele Früchte er tragen wird, wenn a) ein Pfund Dünger; b) zwei Pfund Dünger im Halbjahr/ Jahr verabreicht. Beim Baum liegen vielleicht noch Erfahrungswerte vor, aus denen man einen Durchschnittswert ermitteln kann; aber für die schachlichen Entwicklungsmöglichkeiten reifer Spieler fehlt es so gut wie völlig an beispielhaftem Material.“ (Zitat Ende)

Robert, ich spreche für mich und ich denke für uns alle, wir werden dich vermissen!“

Inzwischen gibt es eine Fülle weiterer Erinnerungen an den Verstorbenen. Auch Elisabeth Pähtz hatte eine besondere Begegnung mit Robert, die sie gern mit uns teilt:

„Ich traf Robert zum ersten Mal anlässlich der Schacholympiade 1998 in Elista, ich war 13 Jahre jung. Natürlich hatte ich schon von seiner „Individualität“ gehört, erinnere mich aber gut daran, dass er bei uns Frauen sehr beliebt war. Einen „Gentleman“ konnte man ihn vielleicht nicht nennen, aber mit seiner zurückhaltenden, stets freundlichen und ausgesucht höflichen Art kam er gut bei uns an. Dem anderen Geschlecht den Vortritt zu gewähren bzw. die Tür aufzuhalten war damals in Schachkreisen nicht sehr verbreitet.

Das nächste große Mannschaftsturnier war die Europameisterschaft in Batumi 1999. Deutschland holte Bronze und bei der Siegerehrung fragte mich Alexej Schirow erstaunt, wo Robert sei. Damals musste ich mich erst an dessen Understatement gewöhnen; seiner Ansicht nach hatte er mit seinem „fehlerhaften Spiel“ nichts zum Erfolg der Mannschaft beigetragen!

In die gleiche Kerbe schlug er häufig mit seinen schachliterarischen Arbeiten, auf der Rückseite von „Schund“ ist zum Beispiel zu lesen: „Ein überflüssiges Buch“. Oder „Fünfundfünzig feiste Fehler: begangenen und besprochen von … Sie ahnen es. Wie kein anderer aus der Szene frönte er der Kunst der Selbstgeißelung. Dazu passte es nicht unbedingt, dass ich einige Male Zeuge wurde, wie er beim Dinner mit jedem am gutbesetzten Tisch in dessen Muttersprache parlierte.

Später, er war aus der Nationalmannschaft ausgeschieden, wurden unserer Treffen zu meinem Leidwesen rarer. 2019 bat ich ihn jedoch um ein einwöchiges Training – mich interessierte seine Meinung darüber, wo meine Stärken und Schwächen lagen. Er erfüllte meinen Wunsch und wir analysierten einige meiner Begegnungen. Ich genoss seine Art der Herangehensweise an eine Schachpartie und war gespannt: wie würde sein Urteil ausfallen? Weder signifikante Stärken noch Schwächen seien ihm aufgefallen, ließ er mich wissen. Er würde mir jedoch empfehlen, den schwarzen e-Bauern zu Beginn einer Partie nicht zu weit nach vorne zu rücken. Das war seine Art, mir mitzuteilen, dass er von meinem Spiel im Allgemeinen und von meiner Behandlung der altehrwürdigen Spanischen Partie im Besonderen wenig angetan war 😉

Robert Hübner wird mir als das Unikat, das er war, stets in angenehmer Erinnerung bleiben!“

Ein weiterer Bericht ist auf der Homepage unseres Kooperationspartners SG Löberitz erschienen. Dem dortigen Schachmuseum hat Robert auch seinen Viktor 2021 gestiftet.

Der Unterzeichner erinnert sich noch gut an diese Ehrung in Halle. In der ihm bescheidenen Art war Robert jede Würdigung seiner Verdienste eher unangenehm. Gerade deswegen war er allseits so beliebt. Denn laute Töne mit Hervorheben tatsächlicher oder vermeintlicher Erfolge waren nicht seine Sache. Er war ein feiner und humorvoller Meister der leisen Töne, immer streng mit sich selbst und aufmunternd kritisch mit Mitmenschen, wenn es um das Ergründen von Wahrheiten im Schach ging. Auch darin war er ein würdiger Nachfolger von Dr. Emanuel Lasker, dessen Schaffen ihn auch in seinen Publikationen beschäftigt hat.

Lieber Robert, ruhe in Frieden. Die ELG wird Deiner stets gedenken.

Berlin, im März 2025

Thomas Weischede, Vorstand ELG