Droht ein neuer Kalter Krieg in Schach und Sport? Wie soll mit russischen Athleten umgegangen werden?
Im Rahmen einer Podiumsdiskussion, die am 20. Mai 2023 ab 19.30 Uhr im Rathaus Schöneberg stattfinden wird, widmet sich die ELG der Frage, ob wieder ein Kalter Krieg in Schach und Sport droht.
Schach war vormals das Symbol des Kalten Krieges. Nicht umsonst ging der Weltmeisterschaftskampf zwischen Robert (Bobby) James Fischer und Boris Spasski in Reykjavik 1972 als Kampf der Systeme in die Geschichte ein. Oft wird dabei der Sieg Fischers mit dem Obsiegen im Kalten Krieg gleichgesetzt, stellt man nur auf den deutschen Titel des Werkes von Edmonds und Eidinow von 2004 ab: „Bobby Fischer goes to war: How the Soviest lost the most extraordinary Chess Match of all time“ (Wie Bobby Fischer den Kalten Krieg gewann).
Natürlich fand der Kalte Krieg mit dem Sieg Fischers kein Ende. Im Schach setze sich der Kampf der Systeme aber in den epischen Weltmeisterschaftskämpfen zwischen Anatoly Karpov und dem Dissidenten Viktor Kortschnoi (1978 Baguio City/ 1981 Meran) oder im Rahmen von Glasnost und Perestroika zwischen Anatoly Karpov und Garry Kasparov fort, die von 1984/85 bis 1990 insgesamt fünf WM-Kämpfe bestritten.
Viktor Kortschnoi -seines Zeichens Ehrenmitglied der ELG und Namensgeber unserer Viktor-Trophäe, die von der ELG seit dem Laskerjahr 2018 für besondere Verdienste zur Förderung des Schachsports verliehen wird- hat dabei die Wettkämpfe zwischen Karpov und Kasparov erst ermöglicht, indem er sich 1983 weigerte, kampflos gegen Kasparov zu gewinnen, weil diesem durch das eigene Regime die Anreise zum WM-Halbfinale gegen Kortschnoi unterbunden worden war. Kortschnoi unterlag damals dem aufstrebenden Kasparov, der seit vielen Jahren einer der engagiertesten Kritiker des Putinschen Regimes ist. Viele seiner Vorhersagen haben sich leider bewahrheitet.
Auch außerhalb der Schachwelt hat der Kalte Krieg deutliche Spuren hinterlassen, denkt man nur an die wechselseitigen Boykotte der Sommerolympiaden von 1980 in Moskau und 1984 in Los Angeles. Darüber sollte aber nicht vergessen werden, wie verbindend der Sport sein kann, denkt man nur zurück an das legendäre Fußball-Freundschaftsspiel des frisch gebackenen Weltmeisters Deutschland gegen die Sowjetunion in Moskau 1955, das maßgeblich zu einem diplomatischen Austausch nach dem Zweiten Weltkrieg beigetragen hat, der kurz danach vielen Kriegsgefangenen die Heimkehr ermöglichte.
Die Frage nach dem neuen Kalten Krieg ist spätestens mit dem kriegerischen Überfall Russlands auf die Ukraine am 22. Februar 2022 neue Realität geworden. Wie bedeutsam dabei von solchen Regimen das Greenwashing-Potential des Sports angesehen wird, kann dem Umstand entnommen werden, dass der Überfall erst kurz nach Ende der Winterolympiade in China begonnen wurde. Zuvor hatte Russland schon versucht, sich mit der Fußball-WM von 2018 oder sportlichen Erfolgen gedopter Sportler in der Welt Ansehen zu verschaffen. Insbesondere das Doping erinnert an die finstersten Zeiten des Sports im Kalten Krieg, denkt man nur an die staatlichen Dopingprogramme, die es auch in der ehemaligen DDR gab. Ohne diesen Missbrauch wäre die World Anti Doping Agency (WADA) vermutlich nie gegründet worden.
Die heutige Schachwelt reduziert diese Thematik aktuell auf die Frage, wie mit Spielern aus Russland umgegangen werden soll. So dürfen derzeit Spieler aus Russland nur unter der neutralen Flagge des Weltschachbundes FIDE antreten, werden aber trotzdem vom heimischen Regime zu Propagandazwecken benutzt. In ähnlicher Form stellt sich dieses Problem bei nahezu jeder anderen Sportart. Es mehren sich daher die Stimmen, die dem Aufruf der Ukraine folgen möchte, Athleten aus Russland zu boykottieren. Dies wirft lange Schatten auf die Sommerolympiade 2024 in Paris und die Fußball-Europameisterschaft in Deutschland und hat zu ersten Überlegungen geführt, nach dem Muster der WADA eine World Anti Corruption Agency (WACA) ins Leben zu rufen, um vor allem den oft mehr als fragwürdigen Vergaben von sportlichen Großevents entgegen den Werten des Sports zu begegnen.
Als Gesprächsgäste konnte die ELG Viola von Cramon-Taubadel (Abgeordnete des EU-Parlaments), Dr. Anita Stangl (geschäftsführende Gesellschafterin der MedienLB, FIDE-Meisterin der Frauen und aktiv in Schachvereinen in Deutschland, Österreich und Frankreich) und Herbert Bastian (Internationaler Schachmeister der FIDE, Präsident des Deutschen Schachbundes von 2011 bis 2017, Ex-Vizepräsident der FIDE) gewinnen. Die Gesprächsrunde wird der Vorsitzende der ELG, RA Thomas Weischede (FIDE-Meister) moderieren. Frau von Cramon ist Mitinitiatorin der WACA (siehe dazu auch folgenden Link). Herbert Bastian kann aus der Funktionärssicht, Dr. Anita Stangl aus der Sicht der Athleten berichten.
Das Event ist Teil des 2. Rudolf-Teschner-Memorials, das über Pfingsten im Rathaus Schöneberg stattfinden wird. Welcher Ort wäre 60 Jahre nach der wohl legendärsten Solidaritätsbekundung des Kalten Krieges, nämlich Kennedys Botschafter an das geteilte Berlin „Ich bin ein Berliner“ passender für eine derartige Diskussion.
Im Anschluss an die Podiumsdiskussion ist ein geselliger Ausklang unter den Teilnehmern und Gästen vor Ort geplant. Im Vorfeld der Diskussion wird die ELG die deutsche Fernschachnationalmannschaft mit dem Viktor 2023 ehren. Mit zahlreichen internationalen Titeln gehört das Fernschachteam zu den erfolgreichsten Mannschaften aller Zeiten, bietet aber auch das Kuriosum, dass das ehemalige Team der DDR noch viele Jahre lang an einer WM teilnahm, als die Wiedervereinigung schon vollzogen war. So etwas kann nur das Schach bieten.
Die ELG ist ein gemeinnütziger Kulturverein, der 2001 gegründet wurde und die Werte des Schachs ‑Toleranz, Respekt und Chancengerechtigkeit- fördert. Nähere Informationen zur ELG finden Sie unter www.lasker-gesellschaft.de.
Der Eintritt zur Podiumsdiskussion ist frei. Spenden sind willkommen. Aus Kapazitätsgründen muss die Anzahl der Teilnehmer begrenzt werden. Es wird daher um baldige Anmeldung per E-Mail an info@lasker-gesellschaft.de gebeten. Plätze werden nach den verfügbaren Kapazitäten vergeben.
Als Gäste sind alle Freunde des Sports und der Kultur willkommen, die die Werte der ELG teilen.
Berlin, im Mai 2023
Thomas Weischede,
Vorsitzender der ELG