Ellis Schachecke: Wie gewinnt man einen Weltmeisterschaftskampf – Wettkampfstrategie à la Lasker

Im neuesten Videobeitrag stellt Elisabeth Pähtz die 11. Partie der WM 1894 vor. Die Partie wurde am 21. April 1894 in Philadelphia gespielt. Nachdem der amtierende Weltmeister Steinitz in der 10. Partie erstmals mit dem Damenbauer eröffnet und damit schon aus der Eröffnung heraus wegen einer mehr als eigenwilligen Neuerung im vierten Zug große Probleme hatte, griff Lasker zu der bekannten Taktik, den Gegner in der Folgepartie mit vertauschten Farben mit seiner eigenen Eröffnungswahl zu konfrontieren, um ihm so abzuverlangen, gegen sich selbst und seine eigene WM-Vorbereitung spielen zu müssen. Diese Strategie war 1894 noch in den Anfängen, wurde von Lasker aber bereits meisterlich adaptiert. Anders als Steinitz begnügte er sich dabei mit einem minimalen Vorteil in einem damenlosen Mittelspiel, das für Schwarz alles andere als einfach zu spielen ist, wenn er – wie Steinitz in dieser Partei – am Damenflügel den falschen Entwicklungsplan wählt. Steinitz versäumte es nämlich, den eingeschlossenen Läufer auf C8 rechtzeitig zu befreien, was Lasker dann konsequent ausnutzte, in dem er alle anderen Figuren abtauschte, um dann mit seinem weißfedrigen Läufer gegen den „Großbauern“ auf C8 die Partie rasch für sich zu entscheiden. Wie erfolgreich diese Wettkampfstrategie ist, hat Kasparov in seinen WM-Kämpfen gegen Karpow ab 1984 eindrucksvoll bestätigt. Wie gefährlich die Eröffnungsstrategie von Lasker in diesem Abspiel ist, haben nach ihm mehrere andere Weltmeister wie Karpow und Kramnik in ähnlichen Strukturen und Abspielen gezeigt. Die Umsetzung der Eröffnungsstrategie erfolgte kristallklar aus einem Guss – wahrlich eine großartige Partieanlage.

Dies mag zeigen, wie „modern“ schon 1894 das taktische und positionelle Verständnis von Lasker war. Steinitz war dem nicht gewachsen und verlor auch die 11. Partie und damit die 5. Partie in Folge! Ein solches Ergebnis von 5 Nullen am Stück wird in Schachkreisen gern als „Doppelrochade“ bezeichnet, wurden doch die kurze Rochade mit 0-0 und die lange Rochade mit 0-0-0 in der Schachnotation abgebildet. Trotz dieses Desasters war damit der Wettkampf aber noch nicht entschieden, holte Steinitz doch aus den nächsten drei Partien 2,5 Punkte. Die fünfte Null in Folge dürfte aber auch Steinitz verdeutlicht haben, dass die Zeit überreif war, seine Wettkampfstrategie umgehend zu ändern. Genau darauf dürfte die Strategie von Lasker abgezielt haben: Erst den Gegner aus der Komfortzone seiner Vorbereitung herausholen und dann im freien Kampf klären, wer der bessere Spieler ist. Dass Steinitz dieser Wechsel bei einem Rückstand von 5-0 aufgezwungen wurde, erinnert an die legendären WM-Kämpfe Karpow gegen Kortschnoi von 1978 und Karpow gegen Kasparov von 1984, in denen – anders als 1894 – die Herausforderer mit 5:3 bzw. 5:0 zurücklagen.

Viel Vergnügen mit Ellis Schachecke!

Berlin, im April 2021

Thomas Weischede,

Vorstand ELG